Kindergarten

Der Kindergarten ist der erste und vielleicht wichtigste Ansatz für eine kulturelle Vielfalt in der musikalischen Bildung. Es gibt große Freiräume in der Gestaltung der Zeit. Eine Verbindung von Singen, Bewegungsspielen und Rhythmusspielen ist hier der ideale Einstieg um bei Kindern ein nachhaltiges Interesse an Musik zu wecken, gleichzeitig die Basis für die Fähigkeit des Musizierens  zu erlernen. Spielerisch können den Kindern rhythmische Fertigkeiten, Lieder und Melodien, das gemeinsame Singen und Spielen nahe gebracht werden. Hervorragend geeignet sind schon zu diesem frühen Zeitpunkt Lieder und Rhythmen die ihre Basis nicht unbedingt in Deutschland haben, die das enorme Bedürfnis der Kinder nach Rhythmus und Bewegung aufgreifen.

Kinder in einer Gesellschaft, die geprägt ist vom Musik konsumieren, und in der das eigene Musizieren eine Ausnahme bleibt, müssen zu musikalischen Basiserfahrungen angeleitet werden. Klatschspiele, Hüpfspiele, überhaupt das gemeinsame Spiel vieler Kinder im Freien sind aber mittlerweile die Ausnahme.

Unsere Kinder müssen diese Erfahrungen, die in den ärmeren Ländern der Welt selbstverständlich zur Entwicklung gehören, in Kindergarten und Schule nachholen um ihre Defizite in Rhythmus, Motorik, Bewegung und Koordination nachzuholen.

Um eine kulturelle Vielfalt in der Musikerfahrung im Kindergarten zu fördern und oftmals überhaupt erst zu ermöglichen sind vor allem Fort- und Weiterbildungen für Erzieherinnen und Erzieher notwendig. Dazu ist die Einbindung von MusikerInnen mit spezifischen Erfahrungen, vor allem aus der Migrantenszene sehr sinnvoll.

Material zur Unterstützung und Anleitung ist vorhanden und wird bereits von vielen engagierten ErzieherInnen selbst genutzt.

 

Grundschule 

Im Musik Lehrplan für die Grundschulen in NRW finden sich viele Formulierungen, die mein Herz höher schlagen lassen. Ein ganzheitliches musikalisches Konzept wird vorgeschlagen, in dem Tanz und Bewegung, Spiele und Improvisation selbstverständlich zur musikalischen Bildung gehören. Kinder sollen der Musik in ihrer Vielfalt begegnen. Die Musik der Kinder mit Migrationshintergrund soll in den Unterricht einbezogen werden als Teil eines übergeordneten interkulturellen Lernens. Das sind wunderbare Voraussetzungen für eine kulturelle Vielfalt in der musikalischen Bildung!

Auch für die Grundschulen ist viel Material, sind Fachzeitschriften, Bücher und CDs vorhanden, die einen qualifizierten Unterricht in diesem Sinne stützen können.

Für den Bereich der Grundschulen sind meiner Ansicht nach alle Voraussetzungen für eine kulturelle Vielfalt in der musikalischen Bildung im Lehrplan und in ergänzendem Arbeitsmaterial vorhanden. Wichtig ist es den Lehrerinnen und Lehrern unter die Arme zu greifen, sie zu einem ganzheitlichen Ansatz in der Musikvermittlung ermutigen, ihnen in Projekten professionelle Musiker aus der Szene an die Seite zu stellen, für die Musik der Migranten Workshops und Fortbildungen anzubieten und dem Musikunterricht prinzipiell einen höheren Stellenwert zu geben.

Für beide Bereiche sei angemerkt, musikalische Vielfalt eignet sich hervorragend für fächerübergreifenden Unterricht. Sie wirkt motivierend und verhindert schon früh das Entstehen von rassistischem Denken und Vorurteilen.

Problem: In Kindergärten und Grundschulen hängt die Umsetzung einer Vielfalt in der musikalischen Bildung sehr stark vom Engagement und den individuellen Fähigkeiten der einzelnen ErzieherInnen und LehrerInnen ab, und diese individuellen Fähigkeiten haben oft mit ihrer fachlichen Ausbildung wenig zu tun.

 

Weiterführende Schulen 

Spielen die Musik, musikalische Spiele und vor allem das Singen in Kindergarten und Grundschule noch eine große Rolle, scheint es, dass all die Bemühungen für eine gute musikalische Basis der Kinder in den Weiterführenden Schulen nicht mit gleicher Intensität fortgesetzt werden.

Das ist eigentlich sehr erstaunlich, ist doch die Freizeit von Kindern und Jugendlichen stark von Musikkonsum geprägt. Kinder sind leicht für Musik zu begeistern, fast alle Jugendliche sind sehr an Musik interessiert – wieso sind sie nicht genau so sehr für den Musikunterricht zu begeistern?

Es existiert im Musikgeschmack der Jugendlichen eine breite Auffächerung in musikalische Stile und Nischen vom Jazz über Rock, Reggae, Hip Hop, Punk, Weltmusik, ethnische Stile usw. Es wäre eine spannende Aufgabe herauszufinden wie viel Prozent der Schülerinnen und Schüler die Musik in ihrer Freizeit hören über die sie im Unterricht sprechen.  Ebenso interessant wäre es zu wissen wie viele Schüler und Schülerinnen ihre Lieblingsmusik im Unterricht wiederfinden.

Meine Schulzeit ist schon etwas länger her, und in diesen Zeiten einer finsteren  Pädagogik wurden etwa 0 Prozent der Musik, die ich als Teenager hörte, in der Schule behandelt.

Bei meiner Tochter, die gerade ihr Abi hinter sich hat, sah das besser aus aber noch nicht gut.

Ich würde davon ausgehen, dass sich ein Musiklehrer in diesem Zusammenhang mit den Schülerinnen und Schülern über Peter Fox, Jan Delay, die Toten Hosen, über Bob Marley oder Eminem fachlich auseinandersetzen kann, wenn er sie für Bach und Mozart begeistern möchte.

Diese Gedanken bringen mich zu einer interessanten Feststellung.

Im Lehrplan für Musik stehen ein paar wunderbare Inhalte wie:

„Es soll ein Schüler orientierter Unterricht stattfinden.“

Es wird von einem „Ernstnehmen der Schülerinteressen, von einer Vielgestaltigkeit in Lerngruppen“ gesprochen.

Es sei notwendig die Wünsche der Lernenden in den Unterricht aufzunehmen. Es soll die musikalische Kompetenz der Lernenden erweitert werden.

Dann lese ich: „Die ästhetischen Leitideen können im Einzelnen nicht vom Lehrplan vorgegeben werden, da sie unterschiedlichen Lebenswelten entstammen und in der Lerngruppe verhandelt werden.“ Diesen letzten Satz habe ich mir mehrfach durchgelesen und lass ihn mir jetzt, wenn ich ihn laut ausspreche, auf der Zunge zergehen. Hier wird ein demokratischer Musikunterricht vorgeschlagen, in den die Wünsche, Interessen und Herkunftskulturen aller Schülerinnen und Schüler einfließen und gemeinsam umgesetzt werden mit einem, so verstehe ich das, moderierenden Spezialisten, der Musiklehrerin oder dem Musiklehrer!

Für die Umsetzung einer kulturellen Vielfalt in der musikalischen Bildung sind also theoretisch erst einmal alle Voraussetzungen gegeben.

 

Aber wie sieht die Wirklichkeit in den Klassen aus?

Heterogene Gruppen mit Jugendlichen, von denen die einen seit Jahren im Orchester spielen, die anderen in der Schülerband, treffen auf eine Mehrheit reiner Musikkonsumenten.

Da ist es für die Lehrerin oder den Lehrer leicht auf die Wünsche derjenigen einzugehen, die am ehesten dem eigenen Wissen, Kulturbild und Musikgeschmack entsprechen.

Und so kommen zwar noch Jazz, Rock und Pop im Unterricht vor, die Musik der Einwanderer und außereuropäische Musikkulturen allerdings so gut wie gar nicht. Der Gedanke diesen Bereich mit Blues und Spirituals abzudecken entstammt einer Realität von vor einigen Jahrzehnten.

Also ist es wiederum den Lehrerinnen und Lehrern selbst überlassen ob und wie sie eine musikalische Vielfalt in der Schule zulassen oder fördern.

Problem: bislang werden Musiklehrerinnen und Lehrer in ihrer Ausbildung nicht genug auf die veränderte Realität eines Einwanderungslandes in einer globalisierten Welt vorbereitet. Aber wie sollen sie für Vielfalt in der musikalischen Bildung sorgen, wenn sie diese Vielfalt in ihrer Ausbildung nie kennengelernt haben?

Wenn ich von Schulen eingeladen werde um mit Schülerinnen und Schülern ein interkulturelles Musikprojekt durchzuführen, renne ich bei ihnen durchweg offene Türen ein. Kinder und Jungendliche sind für einen Musiker, der als Gast in die Schule kommt und sich nicht an das eingeübte Schulsystem hält, der auf ihre musikalischen Bedürfnisse und Geschmacksrichtungen eingehen kann, natürlich sehr offen. In diesem Sinne können Projekte wie „Kultur und Schule“ ein gutes, ergänzendes Instrument in der kulturellen Vielfalt der musikalischen Bildung sein, wenn sie denn eine klare Konzeption verfolgen und flächendeckend in den Schulen umgesetzt werden.

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