Kinderlieder – Das Magazin
2 mal 3 Fragen an … Josephine Kronfli
JOSEPHINE KRONFLI – Musikerin, Autorin, Dipl. Biologin; geboren und aufgewachsen in Addis Abeba, Äthiopien; besuchte dort die Deutsche Schule, studierte Biologie in Kaiserslautern und Münster. Nach dem Diplom war sie als Autorin, Museumspädagogin und Ausstellungsmacherin im Westfälischen Naturkundemuseum in Münster tätig; sie schrieb bereits zehn pädagogische Bücher über „fremde“ Kulturen und Umweltthemen für den Ökotopia Verlag; konzipiert pädagogische Projekte für Grundschulen; steht mit der international besetzten Musikgruppe „Karibuni – Weltmusik für Kinder“ und der „WorldBeat“-Band „karibuni@ddis“ (für Erwachsene) auf der Bühne; sie hat als Interpretin mehr als 15 Musik-CDs veröffentlicht, von denen „Tadias! Kommt mit nach Afrika“ 2010 den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt; wurde für ihre Arbeit für und mit Kinder(n) mehrfach ausgezeichnet, von UNICEF, WDR, PROFOLK, dem Verband Deutscher Musikschulen; hat Radio-Sendungen und Online-Berichte für den Deutschlandfunk und den WDR produziert.
– Fragen von Elke Kamper –
Was macht ein Lied zum Kinderlied und wie einfach darf es sein?
Es ist schwer, diese Frage pauschal zu beantworten, da es kulturelle und gesellschaftliche Aspekte in der Musik des jeweiligen Landes, der Region und des Kontinents zu berücksichtigen gilt, in denen das Lied entstanden ist, vor allem heute im Zeitalter der Globalisierung.
Ich versuche trotzdem, ein paar grobe Gemeinsamkeiten zu benennen. Weltweit basieren sehr viele Kinderlieder auf pentatonischen Skalen. Oft werden nicht einmal alle fünf zur Verfügung stehenden Töne genutzt, speziell bei den Liedern und Spielliedern, die sich Kinder selbst ausgedacht haben. Man kann gut nachvollziehen, wenn Forscher davon ausgehen, dass wahrscheinlich die Pentatonik die Wurzel aller melodischen Musik ist, denn alle Töne passen harmonisch zueinander und klingen NIEMALS falsch, was allerdings nicht bedeutet, dass die Lieder einfach sein müssen.
Genauso wichtig wie die Melodie ist der Rhythmus eines Kinderliedes. Da sind die deutschen Kinderlieder im Vergleich zu denen aus anderen Kulturen oft einfacher. Im Orient und in vielen afrikanischen Ländern gibt es beispielsweise Kinderlieder mit komplizierten Rhythmen, die teilweise als 6/8 oder sogar als 7/8 von den Kindern gesungen und gespielt werden.
Aber wir erleben immer wieder, dass Kinder auch solch komplizierte Rhythmen in unseren Workshops viel schneller lernen als Erwachsene.
Und dies beantwortet die nächste Frage. Im Prinzip spielt es überhaupt keine Rolle, wie einfach oder wie kompliziert ein Kinderlied ist. Es muss einfach nur gut sein und die Kinder emotional erreichen. Mit zwei Tönen, einem einfachen Rhythmus und einem guten Text kann man ohne Probleme ein wunderbares Lied kreieren.
Welches Kinderlied gefällt Dir besonders gut und warum?
„Hauruck zieht der Paul, und hauruck zieht der Fritz.
Alle Mann, nichts wie ran, ganz egal, ob man schwitzt…“
Bei den deutschen Kinderliedern fällt mir sofort „Die Rübe“ von Frederik Vahle ein. Ein super Lied, das nie seine Aktualität verlieren wird. Musikalisch toll gemacht mit echten Musikern und gehaltvollem Text. Wir haben damals mit unserer Tochter Rahel die CD auf- und abgehört und rauf- und runter gesungen. Er hat uns glücklich gemacht, dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Warum bist Du eine gute Kinderlied-Erfinderin?
Meine äthiopische Erziehung hat mich Bescheidenheit gelehrt und diese Bescheidenheit verbietet mir, in einem solchen Kontext meine eigene Arbeit zu loben. Die sollen andere loben oder kritisieren.
Weltmusik für Kinder, damit habt ihr 1997/98 als „Karibuni“ angefangen, weil der „Markt“ keine Musik in dieser Richtung hergab. Hast Du für diese Musikrichtung eine Veränderung in der Kinderliederszene feststellen können?
Das ist richtig, es gab bis auf wenige Ausnahmen keine interkulturellen Begegnungen in der Kindermusik und eine Mehrsprachigkeit in den Liedern schon gar nicht.
Als wir mit „Karibuni“ angefangen haben, das Konzept einer „Weltmusik für Kinder“ zu entwickeln, haben wir erst einmal an unsere eigene Tochter gedacht und an alle Familien, die ihre Kinder zu weltoffenen, jungen Menschen erziehen möchten und genau wie wir händeringend nach einer passenden, interkulturellen Musik für ihre Kinder suchten.
Klar gab es parallele Entwicklungen und unsere Idee ist in den darauffolgenden Jahren in der Szene hier und da aufgenommen worden. Trotzdem ist die musikalische Auseinandersetzung mit „fremden“ Kulturen fast immer noch mit viel zu vielen Klischees behaftet. Afrika bedeutet fast immer Trommeln, Elefant und Affe, „Indianer“ bedeutet fast immer Federn im Haar und Pfeil und Bogen. Die Lebensrealität der Kinder in anderen Kulturen zwischen „Gestern und Heute“, „Tradition und Moderne“ kommt leider kaum vor.
Du hast syrisch-äthiopische Wurzeln, da stellt sich mir fast automatisch folgende Frage: Wie intensiv ist deine politische Auseinandersetzung, was kann man in Kinderliedern politisch transportieren?
Meine Mutter kommt aus Äthiopien und mein Vater war Syrer. Beide Elternteile waren orthodoxe Christen, was viele hier in Bezug auf beide Länder nicht unbedingt auf dem Schirm haben. Ich bin in Äthiopien aufgewachsen, habe die Deutsche Schule in Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien, besucht. Zum Freundeskreis meiner Eltern gehörten Menschen aus verschiedenen Kontinenten, mit unterschiedlichen Sprachen, Hautfarben und Religionen. Daher fühle ich mich seit meiner Kindheit als Weltenbürgerin und mag mich in keine Schublade einsortieren lassen. Das politische Denken ist für mich selbstverständlich und so selbstverständlich sehe ich auch „Karibuni“ als eine politische Musikgruppe.
Ich möchte gerne meine Erziehung, meine gelebte Internationalität auf die Kinder übertragen. Ich möchte sie dazu inspirieren, offene und neugierige Menschen zu sein, wenn sie fremden Kulturen begegnen. Sie sollen Klischees hinterfragen, Ungerechtigkeiten aufdecken und Zusammenhänge verstehen. Nach einem „Karibuni“-Workshop oder -Mitmachkonzert sollen sie den Ehrgeiz haben, in eine Bücherei zu gehen, um sich weiterzubilden, mehr Lieder und Geschichten von fremden und über fremde Kulturen anzuhören, selbst zu singen, selbst ein Instrument zu erlernen und mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen. Ich weiß, das klingt sehr idealistisch, aber wenn Kinder nach einem Konzert oder Workshop ihre Eltern korrigieren, ihnen erklären, dass die „Indianer“, politisch korrekter sind es die „Natives“ oder „First Nations“, Amerika entdeckt haben und nicht Kolumbus, ist es für uns einfach grandios.
Eure (Anm. der Red. „Karibuni“ sind Pit Budde und Josephine Kronfli) neueste CD, „Tadias! Kommt mit nach Afrika“ ist eine Mischung von traditionellen Kinderliedern aus ganz Afrika. Gibt es auch neue, aktuelle Kinderlieder aus Afrika mit aktuellen Themen?
Das ist eine interessante Frage, die man auch nicht verallgemeinernd beantworten kann, denn Afrika ist ein Kontinent, ungefähr viermal so groß wie Europa, mit über fünfzig verschiedenen Ländern und mehr als tausend verschiedenen Völkern und Sprachen.
Hier und dort entstehen aktuelle Kinderlieder, meist von Kindern selbst ausgedacht. Klar, es gibt einige Musiker aus Afrika, die traditionelle Kinderlieder als Projekt aufgearbeitet haben. Wenn man aber gezielt nach professionellen Kinderliedermachern sucht, wird es schwierig. Mittlerweile tut sich etwas, der anhaltende Wirtschaftsboom in Ländern wie Angola oder Äthiopien zieht die Menschen in der Diaspora, die lange im Ausland gelebt haben, zurück in die alte Heimat. Einige bringen den Gedanken einer modernen Kindermusik mit. Leider sind die ersten der „modernen“ Kinderlied-Produktionen, die ich in Äthiopien gefunden habe, uninspirierte Computer-Billigprodukte, die meist nichts anderes beinhalten als schlechte Instrumentierungen bekannter Lieder und Übersetzungen bekannter Kinderlieder aus England und den USA.
Aber es ist ja der Anfang und hoffentlich nicht das Ende einer Entwicklung ?
So, und jetzt zu uns:
Die Lieder auf unserer CD: „Tadias! Kommt mit nach Afrika“ sind nur teilweise traditionell, einige der Lieder haben wir geschrieben, sie sind also aktuell. Aber auch die Themen der traditionellen afrikanischen Kinderlieder sind oft sehr aktuell – nur eben anders, als man sich das in Deutschland vorstellt, denn die Lebensrealität vieler Kinder dort ist eine andere als die ihrer Altersgenossen hier in Deutschland.
Traditionelle Kinderlieder sind deshalb oft so aktuell, weil sie den Alltag von Kindern und ihre Auffassung von der Wirklichkeit widerspiegeln. Viele Kinderlieder haben einen erzieherischen Charakter, bereiten Kinder auf das Leben und die Werte der Gemeinschaft vor. Andere sind reine Spiellieder, Quatschlieder…
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